Zurück zur Weichheit

– zwischen Notwendigkeit und Erlaubnis –

In meiner Meditationspraxis erkannte ich kürzlich eine tiefe Wahrheit: Nichts versperrt mir den Zugang zu meiner eigenen Milde, zu meiner Güte und zur Liebe – außer meiner eigenen Härte. Eine Härte, die sich oft als Klarheit tarnt oder als notwendiges Beharren auf Gerechtigkeit. Eine Härte, die oft überlebenswichtig war.

Als Mediator mit jahrelanger Erfahrung sehe ich diese Verhärtung tagtäglich. Eine Ehefrau, die selbst nach mehreren Sitzungen ihren Mann nur als „kompletten Versager“ bezeichnet. Geschwister, die nach jahrzehntelangem Schweigen nur teilnehmen, um endlich eine lang aufgestaute Anklage loszuwerden. Menschen, deren einzige Hoffnung ist, vom Mediator die Bestätigung zu erhalten, dass ihr Hass berechtigt sei.

Diese Verhärtung ist nicht nur ein persönliches Problem. Sie wird durch gesellschaftliche Dynamiken systematisch verstärkt: Der permanente Leistungsdruck, die schonungslose Unmittelbarkeit digitaler Kommunikation, die zunehmende politische Polarisierung – all das trainiert uns in Härte statt in Mitgefühl. Wir verlernen kollektiv die Fähigkeit zur Weichheit.

Daher das „Wir müssen“: Um Konflikte konstruktiv zu lösen und gesellschaftliche Spaltungen zu überwinden, müssen wir lernen, weicher zu werden und zu vergeben. Die Verhärtung führt in eine Sackgasse des Leids – persönlich wie gesellschaftlich.

Doch auf der inneren, spirituellen Ebene gilt das „Wir dürfen“: Um Selbstliebe zu erfahren, ist es wichtig, das „Müssen“ loszulassen. Wer sich zwingt, weich zu sein, erzeugt paradoxerweise neue Härte gegen sich selbst.

Was steht uns im Weg? Oft entsteht Härte aus dem Bedürfnis nach Schutz oder Klarheit, aus berechtigter Empörung über Ungerechtigkeiten. Initial mag diese Härte sogar hilfreich sein – problematisch wird sie, wenn sie zur Gewohnheit wird, die unser ganzes Wesen durchdringt.

Die Kunst liegt in der Unterscheidung:

  • Wenn uns Klarheit motiviert, mit Elan an unser Tageswerk zu gehen, ist sie hilfreich. Wenn wir sie nutzen, um anderen ihre Schwächen vorzuhalten, wird sie barsch und lieblos.
  • Wenn Weichheit uns weinerlich und handlungsunfähig macht, ist sie hinderlich. Wenn sie uns aber hilft, Vergangenes mit versöhnlichen Augen zu betrachten und mit Fehlern abzuschließen, ist sie ein Segen.

Es geht nicht darum, jede Härte (und der ihr innewohnende Kraft) zu verteufeln oder blinde Nachgiebigkeit zu predigen. Es geht um die Fähigkeit, zwischen notwendiger Klarheit und heilsamer Weichheit situationsgerecht zu wechseln – eine Fähigkeit, die nicht nur persönlich heilsam ist, sondern auch kulturell transformativ sein kann.

Wir müssen weicher werden, um unsere Konflikte zu lösen. Wir dürfen weicher werden, um Liebe zu erfahren.

Beide Wege führen uns zurück zu unserer eigentlichen Natur: einem Wesen, das sowohl klar als auch mitfühlend sein kann – je nachdem, was der Moment von uns fordert.

Markus Knobloch,  Juli 2025